Sunlight im Norden: Schon jetzt im Wahlfieber? Berlin

Berlin

Montag, 16. bis Sonntag, 22. August 2021

Eigentlich wollten wir noch nach Schaprode, Würste von der Insel Öhe holen und auf Hiddensee für die Sehnsucht nach Weite, Vergangenheit und sinnlichen Eindrücken. Doch das Wetter macht absolut nicht mit. Winde in Sturmstärke sowie Starkregen mit Gewittern drohen über mehrere Tage. So lassen wir diese Traumziele im Norden liegen und halten uns Richtung Süden, wo wir eigentlich erst so um den 25. ankommen wollten.

Hiddensee bleibt im Norden liegen
Mit unserer Fahrt durch weite Acker-Landschaften, gespickt mit Rehen, Greifvögeln, Störchen und Schafen, überholen wir sogar die Wädenswiler, welche mit ihrem Boot noch unterwegs sind Richtung Berlin Spandau. Wir tauschen uns laufend aus über unsere je anzutreffenden Liege- und Rastplätze, sowie all die Querelen, welche unseren Weg begleiten. Wobei wir im Camper davon eigentlich verschont bleiben oder sie erst später mitmachen sollen. Der eine der drei Männer auf See muss sich auf den Weg nach Hause machen, während die beiden anderen die nächste Strecke in Angriff nehmen. Weil im zweitletzten Hafen ein Hafenlieger den reservierten Platz nicht freigab, sondern einfach von Bord ging, ist nun, nicht nur zum Leidwesen des Hafenmeisters, der diese Situation sehr bedauert, absolut kein Platz mehr für einen so grossen Kahn. Dem Widerrechtlichen kann man ja nicht einfach so die Leinen lösen. Deswegen ist das Weiterfahren für das Duo angesagt. Dies bedeutet mit der letzten Schleuse vor der Heimatbox einen Zwölfstunden-Tag am Ruder. Dadurch kommen sie einen Tag eher, ziemlich müde, jedoch ohne weitere Schäden im Heimathafen an. 

Berlin Mitte

Mittwoch, 18. August 

Tags darauf packen wir Camper unsere Räder, nachdem wir gehört hatten, dass der Radweg entlang des Hohenzollernkanals, in welchem unsere Camping-Insel liegt, uns direkt ins Zentrum Berlins führen würde.



Die Inselbar vom Wasser aus.

Der Eingang zum Campingplatz auf der Insel
vom Wasser aus.
Innert einer Stunde stehen wir tatsächlich vor dem Bundestag, wo wir eine SMS erhalten, dass der Berliner Skipper gerne etwas unternehmen würde. Wir warten auf ihn im einzigen Kaffee vor dem Bundesplatz, wo er eine Stunde später ankommt. Seine Crew schläft noch. 
Der Bundestag
Von hier aus geht es mit einer fachkundigen, kurzweiligen, abwechslungsreichen Privatführung durch die historisch wichtigen und touristisch belangreichen Strassen des Quartiers Mitte. Wenn die Autorin hier alles festhalten wollte, was wir an Information über diese Stadt, bestehend eigentlich aus vielen Dörfern, am heutigen Nachmittag erfahren, gäbe das ein dickes Kapitel einer Berlin-Monographie. 

Dennoch, einige Dinge sind durchs Erleben und Hören äusserst präsent geblieben.

  • Berlin hat nichts mit seinem (Berner) Bären im Wappen zu tun, denn sein Name kommt aus dem Slawischen und bedeutet Sumpfgebiet. Wie auch in Rügen, lebten früher Slawen hier, welche erst allmählich durch die Deutschen abgelöst wurden. 

  • Die vielen wohlklingenden französischen Ausdrücke, welche die Sprache noch immer spicken, stammen von den Hugenotten, welche hier, wie in den Niederlanden, eine Zuflucht vor Verfolgung fanden. Sie waren zuverlässige Arbeiter und hatten eine Ahnung vom Häuserbau, wodurch sie Berlin vom halb verrotteten Bauerndorf zu einer Stadt beförderten. Den Hugenotten war eine eigene Kirche, die eigene Sprache und die Aufnahme des Französischen in die Amtssprache zugestanden, damit sie Rechtshändel verständlich durchführen konnten.

  • Der Checkpoint-Charlie bestand nicht nur in den alten Filmen, um die Grenze zwischen den beiden Berlins zu überschreiten, sondern tatsächlich, ist noch heute sichtbar und wurde gelegentlich auf zehn Spuren erweitert. Wobei letzteres wieder zurückgebaut wurde.

  • Die ehemalige Mauer wird durch Pflastersteine in der Strasse, Radwege und Stücke tatsächlicher Mauer in Erinnerung gehalten. Bilder, Tafeln und Comics illustrieren gelungene und misslungene Fluchtversuche, aber auch den Fall der Mauer 1989. Unser Begleiter hat Berlin mit Klassen vor und nach der Wiedervereinigung erlebt und kennt alles von Grund auf. Hinter dem noch stehen gelassenen Stück Mauer befand sich im Keller ein Gestapo-Quartier, in welchem sogar Erich Honecker als Kommunist während des zweiten Weltkrieges festgehalten worden war.

  • Wir laufen an einem riesigen Platz vorbei, der voll ist von Betonblöcken, die durch ihre Art und Anordnung an Gräber erinnern. Es ist ein Mahnmal des Holocaust, mitten in der Stadt, diskret und dennoch auf einem teuern, nicht verbaubaren Areal stets sichtbar und gegenwärtig. Auch von oben fällt es auf und erinnert an eine der traurigsten und entsetzlichsten Zeiten europäischer Geschichte. 

  • Der Potsdamer- Platz behält die historische achteckige Form, welche in den ihn säumenden Gebäuden aufgenommen ist. Hotels darum herum sind so teuer, dass wir uns nicht einmal eine einzige Nacht darin erlauben könnten. Die Plattform auf einem davon bietet auf den obersten zwei Etagen für Besucher eine Rundsicht über ganz Berlin, welches 40 auf 40 Quadratkilometer misst bei einer Einwohner-Zahl von gut 3,5 Millionen, vergleichbar mit dem Kanton Zürich, welcher rund 1700 Quadratkilometer ausfüllt mit nicht ganz einer Million Einwohnern.

  • Der eine Flugplatz, der nicht mehr bedient wird, Berlin Tegel, ist heute von allen möglichen Gruppierungen für ihre Feiern und Freizeit genutzt. Man weiss noch nicht, was man damit tun will.

  • Die ganze Stadt ist durchsetzt mit grossen waldartigen Grünflächen. Auch viele Strassen sind mit Bäumen gesäumt. Einem Stadtplaner war klar, dass nicht der riesige Platz den Menschen ein Heimatgefühl biete, sondern unterteilte Strassen, welche auch zum Flanieren einlüden. Für unsere Verhältnisse sind seine Ergebnisse immer noch äusserst grosszügig. Er plante das Quartier im ehemaligen Leerraum zwischen den bewohnten Oststrassen und der Mauer, welcher verhindern sollte, dass Menschen aus der DDR flüchteten. Den Architekten wurden minimale Vorgaben gemacht, innerhalb derer sie sich entfalten durften und so zum neuen Stadtbild beitragen konnten. Bedingung war, dass kein Lastwagen Baumaterial in die Stadt bringen durfte, denn so wäre der Strassenverkehr zusammengebrochen.

  • Das Brandenburger Tor war mit seinem mittleren Durchgang dem Kaiser vorbehalten, die Nebenbogen standen dem gewöhnlichen Volk zur Verfügung, was wir als Anlass nehmen, ab durch die Mitte zu gehen. 

  • Vom Hotelturm aus sind auch jene Gebäude zu überblicken, welche dem Berliner Symphonie-Orchester gehören, das sich jeweils seinen Dirigenten selber auswählt, womit es für jeden Orchesterleiter eine Ehre ist, dieses Orchester leiten zu dürfen.

  • Vor der Humboldt-Universität, welche die historische Bücherverbrennung sehr diskret durch ein Fenster im Boden mit Blick hinunter zu leeren Bücherregalen in Erinnerung hält, merken wir, dass unsere Füsse langsam müder werden, als unser Geist und entscheiden uns, den Bus zurück zu nehmen.

  • Angekommen im Berlin-Pavillon lassen wir uns in bequeme Sessel für ein Abschluss-Getränk fallen und planen einen kontrastierenden Ausflug für den kommenden Samstag. Er soll in ein Kiez führen, das lebt von Anwohnern und Geschäften, statt von Bürogebäuden und Tourismus, wie wir sie heute in der Mitte mitmachen durften. 

Symbol für die Verbrannten Bücher...

... vor der Humbold-Universität.


Die Französische Kirche vis-à-vis der Deutschen Kirche.

Checkpoint Charlie.

Das Mauerstück als Erinnerung.


Die freie Hand der Architekten 1.

Potsdamer-Platz 


Die freie Hand der Architekten 2.

Potsdamer Platz.

Schweizer Botschaft



Berlins Hauptbahnhof vom Wasser aus.
Vielen herzlichen Dank für deine so engagierte, sachkundige, kurzweilige Führung durch diesen historischen Teil der Deutschen Geschichte. Wir freuen uns schon jetzt auf den folgenden Ausflug.

Der Heimweg wird vom Navi geplant und führt uns nur eine Teilstrecke dem Wasser entlang, ansonsten sind eine Hauptstrasse und Wohnhäuser unsere Begleiter. Ziemlich auf den Stümpen landen wir in der Camping-Gartenbeiz bei einem Bierchen und je einer Bratwurst, die nicht mehr ganz koscher ist, sondern dem Skipper ansehnliche Bauchschmerzen verursacht. Diejenige der Autorin, eine vegane Wurst, schmeckt einfach nicht gut, diejenige vom Skipper aber griff seine Eingeweide an, was zum Glück am folgenden Morgen überstanden ist.

Der Donnerstag ist ein Pausentag mit Schreiben, Einkaufen, Fotografieren und Lesen. Die Autorin fährt eine Teilstrecke des Weges entlang des Hohenzollern-Kanals nochmals ab, um Fotos zu machen. Dabei trifft sie mehrere Zweiradfahrer und -Fahrerinnen zweimal, was dazu führt, dass man sich beim Zweitenmal schon wie alte Bekannte mit einem Lächeln begrüsst.

Ja, wer genau hinschaut findet das Hack unseres Campers auf der Insel,

... das hier noch besser zur Geltung kommt.



Seezeichen betreffen den hinteren Teil des Hohenzollernkanals.

Hier wird genau erklärt, wie das Gehölz entlang des Kanals gepflegt wird.

Auf diese Art gestutzte Bäume bieten Spechten eine Nistmöglichkeit.




Unsere Insel liegt in Berlin Tegel.


Vorher gings durch Berlin
Wedding


Mit unserem Segelboot wäre Ankern hier wohl
gar nie möglich.




Berlin Süd-Ost

Freitag, 20. August 2021

Weil wir vergessen haben, dass wir auf den Samstag ein Treffen vereinbart hatten, kommt es früher zur Kiezrundleitung. Der Freitag-Nachmittag nämlich führt uns mit dem Bus 133 von der Tegelerbrücke zur U-Bahnstation und von dort die U6 zur Station Hallesches Tor, welche mitten  in einer Kreis-Überbauung im Untergrund liegt. 

Hier werden wir von unserem Ex-Wädenswiler Berlin-Guide erwartet und einen Nachmittag im Quartier herumgeführt, das in konträrem Gegensatz zur Berlin-Mitte steht. Der erste Gang zeigt uns von aussen das Jüdische Museum, von dem bekannten Architekten Daniel Libeskind erbaut auf eine Art, die einem in Erinnerung bleibt. Die Wände stehen teils schief, die Stockwerke sind, trotz vorhandener Fenster nicht voneinander zu unterscheiden, sein Eingang befindet sich in einem Nachbar-Museum. Bedrückend. 

Im Übrigen stehen Wohnblöcke, statt Büros, die Cafés sind bevölkert mit Menschen aller Sprache und Couleur, jeden Alters und jeder Schicht. Die Strassen leben.

In der Markthalle werden wir von unglaublicher Lust und von Hunger überfallen, da alles so sorgfältig her- und ausgestellt ist, dass wir am liebsten davon Menues zusammenstellen würden. Zum Glück ist kein Rucksack dabei, sonst hätten wir ganz bestimmt viel zu viel und Überflüssiges gekauft. 

Mit der U1 fahren wir über die ehemalige Grenze ins ehemalige Ostdeutschland über die Spree hinweg, weswegen wir später süchtig nach der Krimi-Serie "Jenseits der Spree" werden. Leider sitzen wir in alten Waggons, statt in den neuen, welche die Stadler-Rail mit Siemens-Motoren liefert und die in Längsrichtung rechts und links leicht bombiert sind.

Seit wir mit der Bahn über diese Brücke gefahren sind, schauen wir uns die Krimi-Serie "Jenseits der Spree" an. (Aufgenommen vom Boot aus.)

Als Abschluss des Nachmittags essen wir marrokanische Mezze, was ungefähr spanischen Tapas entspricht, wo jeder von allem in der Mitte des Tisches Serviertem probiert und so Neues kennenlernt. Der Autorin hat das Essen trotz Vorsicht mit Sesam nicht besonders gut getan. 

Als unser Begleiter an der Station Friedrichstrasse umsteigt, glauben wir, das sei nun der Abschied für diese Saison gewesen. Kurz und abrupt, aber zwingend, denn die Station ist da. Doch ...

... eine Velofahrt zum Spandauer Kastell ...

Samstag, 21. August 2021

Für uns bisher unbekanntes Wasserball ...

Schifffahrtszeichen.

... vom Kanu aus mit hochgestellten Wasserball-Toren.



… führt uns als gemütliche Fahrt dem Berlin-Spandauer-Kanal entlang in die auf unserem Weg liegende Hafenkneipe zu einem Bierchen. Auf diesem Weg warnt uns ein Schild vor Wildschweinen. Inzwischen sollen auf Wölfe das Revier bevölkern. 
Plötzlich bemerken wir nicht nur Segelboote mit gelegtem Mast, sondern Gast-Schiffe und Motorboote, die alle nach Norden fahren. Eine Weile nachher streben viele in umgekehrte Richtung. Dabei sticht im Hafen auf einmal ein Mast mit bekannter Flaggenführung ins Auge. 


Gehen wir doch mal schauen. Der Name stimmt und die Farbe stimmt, aber es scheint niemand an Bord zu sein. Durch Klopfen gelingt es, den in der Kabine lesenden Eigner nach oben zu locken. Bei Kaffee und Tee erzählt er uns übers Kastell, dessen Fledermäuse und über den Hafen; wie der Eigner einen Platz hier gefunden hat und wie freundlich und wohlwollend die Hafenmeister seien. So wird es ein gemütlicher Abschied, den wir ein bisschen ausdehnen zu einer Einladung auf unser Motorboot auf dem Zürichsee, entweder bis Oktober, weil dann die Pächter auf der Ufenau ihre «Uustrinkete» feiern oder im Frühling mit dem neuen Pächter, falls wir dann nicht bereits nach Norden zur BonBini unterwegs sind. 

Das Kastell schliesslich lassen wir rechts liegen und fahren direkt über die Brücke hinter dem Hafen zu unserer Camping-Insel zurück. Hier machen wir uns bereit, um am Folgetag weiter zu reisen, denn das Wetter schlägt erneut um. 

Von den anstehenden Bundestagswahlen haben wir ausser Wahlplakaten in diesen Tagen nichts gemerkt, doch es soll dannzumal recht turbulent zugehen in Berlin mit fehlenden Wahlzetteln, solchen, die nicht in die Wahlbüros geliefert werden können und Minderjährigen, die gewählt haben. Macht aber alles nichts, hier zählt man die Stimmen nicht, sondern man schätzt sie.

Tschüss Spandauer Schiffsführer und danke für deine Bilder vom Wasser aus!

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